Neue E-Invoicing-Pflicht:  Wie realistisch sind die BStBK-Vorschläge für eine Taxonomie mit Standards wie EDIFACT?

München, 02.12.2022 – Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag das Ziel festgelegt, ein bundesweit einheitliches elektronisches Meldesystem für Rechnungen einführen zu wollen. Dazu hat die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) ein Diskussionspapier veröffentlicht. Paula Müller, EDI-Expertin bei Comarch, kommentiert die Vorschläge und analysiert deren Realisierbarkeit.

Hintergrund: E-Invoicing in Deutschland

Das Thema E-Invoicing ist in Deutschland so kompliziert wie in keinem anderen europäischen Land. Und dies obwohl es derzeit nur eine B2G-Pflicht und noch keine B2B-Pflicht gibt. Die Komplexität bei B2G ist darin begründet, dass die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Gesetze bzw. Verordnungen zur elektronischen Rechnungsstellung erlassen haben. Und diese enthalten genauso viele Ähnlichkeiten wie Unterschiede.

Was sind die Vorschläge des BStBK?

In einer Stellungnahme begrüßt die BStBK die Pläne für ein bundesweit einheitliches elektronisches Meldesystem für Rechnungen. Schließlich belege Deutschland „mit seinen fehlenden Umsatzsteuereinnahmen von etwa 22 Mrd. € den dritten Platz in der EU“. Dazu empfehle sich die Einführung eines einheitlichen Rechnungsformats, also einer „Taxonomie“. So könne auf bestehende Standards wie EDIFACT zurückgriffen werden. 

Wie ist die vorgeschlagene Taxonomie zu bewerten?

Die Umsetzung von verschiedenen E-Invoicing-Formaten in der EU ist weniger problematisch. Immerhin besteht bereits eine Norm, welche die Grundbausteine einer Rechnung regelt (CEN EN 16931). Eine hundertprozentige Angleichung bedarf zuerst einer Vereinheitlichung des europäischen Steuersystems, von welcher wir bisher weit entfernt sind. Viel kritischer ist die Frage nach einem System, das es erlaubt, seit Jahrzehnten existierende etablierte Rechnungstaxonomien der Privatwirtschaft (z.B. EDIFACT, VDA, AINSI, ODETTE usw.) beizubehalten. Im Gegensatz zu den typischen staatlichen Standards enthalten diese auch für die Privatwirtschaft relevante Informationen, die aber zur Steuerprüfung oft unnötig sind und darum bei staatlich vorgegebenen Formaten oftmals fehlen.


Vorbild wäre ein Modell, wie es aktuell nur in Frankreich angedacht ist und nur dort entwickelt wird. Dieses französische Modell stößt auf großen Zuspruch bei der Privatwirtschaft, da existierende EDI-Anbindungen weitergenutzt werden können. Unternehmen haben also Planungssicherheit. Davon profitieren Firmen, die bereits jetzt ihre Rechnungsprozesse digitalisieren. Begünstigt werden so alle Projekte, die vor einer staatlichen Verpflichtungsphase realisiert wurden, um z.B. monetäre Vorteile von E-Invoicing wie Einsparung von Kosten zu realisieren. Unternehmen können also jederzeit Projekte durchführen, noch bevor es zu einer neuen E-Invoicing-Verpflichtung kommt. Tritt die Pflicht dann in Kraft, müssten nicht sämtliche EDI-Anbindungen wie in anderen Ländern ersetzt werden. Vielmehr würde mit der Einführung von E-Invoicing sofort ein Legacy System etabliert, das auf allen vorhandenen EDI-Anbindungen aufbaut. 

Ist eine internationale E-Invoicing-Pflicht möglich?

Die Bundessteuerberaterkammer spricht auch die „Bekämpfung des grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs“ an. E-Invoicing-Verpflichtungen wurden bisher immer zuerst für den innerstaatlichen Rechnungsaustausch eingeführt – sie greifen nur, wenn Sender und Empfänger einer Rechnung im gleichen Land ihren Sitz haben. Eine überstaatliche Verpflichtung existiert bisher nur im E-Invoicing-Vorreiterland Italien. Wir sehen dies jedoch als natürlichen Schritt in der E-Invoicing-Entwicklung, den jedes Land gehen wird. Außerdem warten wir gespannt auf die Entscheidung der EU zu einem einheitlichen Reporting-System, was dieses Thema noch einmal dringlicher für die Umsetzung in den einzelnen Staaten machen könnte.

Was sind die Vorteile einer dezentralen E-Invoicing-Plattform?

Zudem spricht die BStBK ein wichtiges Problem an, das auch Comarch aus Projekten und den daraus resultierenden Erfahrung mit den deutschen Plattformen wohlbekannt ist: „Das Risiko eines Komplettausfalls der zentralen staatlichen Instanz und damit des gesamten Meldesystems (sog. „single point of failure“)“. So haben sich auch bei Comarch-Projekten diverse Situationen ergeben, in denen weder die staatlichen Plattformen noch deren Support erreichbar waren und so B2G-Rechnungen nicht zugestellt werden konnten. Schlussendlich verzögert sich durch derartige Ausfälle auch die Zahlung von Rechnungen, die mitunter sehr hohe Beträge aufweisen. In solchen Fällen müssen Dienstleister und Firmen oft auf dringende Workarounds zurückgreifen. Daher fordert die BStBK ein dezentrales Modell mit einer Trennung zwischen Rechnungsdaten und Meldedaten. Das wird mit dem französischen Modell erfüllt.

Welche Fragen stellt die Opposition zu den Plänen der Bundesregierung?

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat zum Thema eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung gestellt. Die kleine Anfrage, unterzeichnet von Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion ist hier einsehbar: https://dserver.bundestag.de/btd/20/038/2003899.pdf. Das französische Modell wurde dabei leider nicht angesprochen. Stattdessen wurde gefragt, welches Modell die Regierung bevorzuge, obwohl mit der XRechnung bereits ein Modell im B2G-Bereich umgesetzt wurde – unter der CDU-geführten großen Koalition. Einige wichtige Fragen zu Machbarkeit, Vorteilen und Aufwand einer Umsetzung für die Privatwirtschaft wurden vorgetragen. Zudem wurden Betrugsversuche und derzeitige Abwehrmöglichkeiten angesprochen: „Geht die Bundesregierung davon aus, dass das Personal der Finanzverwaltung ausreichend geschult ist, um Betrugsfälle im digitalen Bereich zu erkennen und ausfindig zu machen?“ Interessant wird es sein, konkrete Zahlen zum Umsatzsteuermissbrauch in verschiedenen Bereichen vorgelegt zu bekommen, sowohl aktuell als auch nach der Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens.

Bewertung durch Comarch

Für E-Invoicing gibt es diverse Best Practices, an denen sich die Bundesregierung orientieren kann. Das französische Modell entspräche zum Beispiel den, aus der Erfahrung von Comarch bewertet, sehr sinnvollen Vorschlägen der Bundessteuerberaterkammer.

Welche Pflichten gelten in welchen Ländern?

Als Übersicht zu internationalen Best Practices und Lexikon zu den jeweiligen Regelungen beim elektronischen Rechnungsaustausch hat der E-Invoicing-Experte einen E-Invoicing-Atlas zusammengestellt. Zwei Juristen haben diverse Länder einer genauen Prüfung zu Vorschriften unterzogen: Kostenloser Download unter: https://www.comarch.de/service-und-support/whitepaper-und-webcasts/e-book-e-invoicing-atlas/ 


 

 

Presseanfragen

richten Sie bitte an:
presse@comarch.de